Paul Gilbert gehört zu den versiertesten Technikern unter den Gitarristen. Momentan ist der Amerikaner noch im Rahmen der Tour zum aktuellen Soloalbum „Fuzz Universe“ auf Achse. Ab nächstem Jahr widmet er sich dann ganz dem mit Spannung erwarteten Comeback von Mr. Big, das ein neues Album, sowie eine umfassende Tournee umfasst.
Anlässlich seines Gigs in Basel konnte ich vor dem Auftritt mit Paul Gilbert sprechen und ihn ein wenig zu seinem letzten Album und der neuen Mr. Big-Scheibe befragen. Mit einer Tasse Tee in der Hand begrüsste er mich und erklärte sofort, dass seine Stimme etwas angeschlagen sei. Dennoch war Paul Gilbert gut gelaunt und stand mir Rede und Antwort.
Ungekürzte Audio-Fassung: [audio:https://www.stringworks.ch/wp-content/uploads/audio/interviews/paulgilbert.mp3]
Lass uns zu Beginn etwas über dein aktuelles Soloalbum Fuzz Universe sprechen, das seit einigen Monaten erhältlich ist.
Ich glaube dir das jetzt einfach mal. In letzter Zeit war ich so beschäftigt, dass ich mich an die Veröffentlichung nicht mehr erinnern kann [lacht].
Wie läuft es bisher auf der Tour?
Die Tour ist super! Das ist bereits meine dritte Solo-Tour in Europa und ich lerne wie jedes Mal einiges dazu. Wir haben eine tolle Crew, eine geniale Band und einen grossartigen Tourbus. Das macht es sehr komfortabel.
Wie gesagt, meine Band ist fantastisch. Auf den letzten beiden Tourneen spielte meine Frau Emmy Keyboards und diesmal habe ich mit Tony Spinner einen coolen zweiten Gitarristen an meiner Seite. Er ist wirklich gut und es macht Spass mit ihm zu jammen.
Ich nehme an, dass dir das ein wenig Raum für Soli gibt.
Oh ja, wir tragen einige Guitar Battles aus.
Im Unterschied zu früheren Alben gibt es auf Fuzz Universe keine Tracks auf denen du singst. Weshalb nicht?
Nun, ich hatte ja bereits in der Vergangenheit reine Instrumental-Alben gemacht. Get Out Of My Yard oder Silence Followed By A Deafening Roar waren zum Beispiel solche. Ich mochte den Gedanken die Gitarre in den Mittelpunkt zu stellen. Ich hatte auch viele Alben mit Gesang gemacht. Burning Organ oder Spaceship One beispielsweise.
Das war ein klasse Album.
Oh, danke! Es ist einfach so, dass ich mich schwer tue Songs live zu singen. Das kommt daher, dass ich mit meiner Stimme immer am oberen Limit bin. Nach fünf bis sechs Shows ist meine Stimme komplett weg.
Bei Instrumental-Songs ist das anders. Meine Finger werden niemals müde. [grinst]
Wie gehst du eigentlich beim Songwriting Ideen an?
Zuerst einmal ist es für mich wichtig alle Ideen sprudeln zu lassen. Jede Idee ist erst einmal eine gute Idee. Für mich ist das wie ein Tisch voller Essen. In einem zweiten Schritt setze ich mich hin und sage mir „das ist gut“, oder „das ist nichts Besonderes“. Ich wähle einfach meine Favoriten aus und sehe zu, ob etwas zusammen passt.
Es ist also immer dieses Wechselspiel aus etwas kreieren, dann ausarbeiten, und so weiter. Man kann nie alles auf einmal tun. Speziell bei Instrumentals, wo alles etwas komplexer ist.
Wie beispielsweise in diesem klassischen Stück von Bach?
Ja, nur musste ich dieses nicht extra schreiben. Dafür dauerte es zwei Monate, bis ich den Track überhaupt spielen konnte.
Kommen wir zum neuen Mr. Big-Album „What If…“, das im Januar erscheint. Mein erster Eindruck war sehr gut, es gefällt mir ausgezeichnet.
Vielen Dank!
Was ist dein ganz persönlicher Eindruck?
Es hat viel Spass gemacht das Album einzuspielen. Richtig Freude hat die Zusammenarbeit mit unserem Produzenten Kevin Shirley gemacht. Ich habe ihn das erste Mal getroffen und kannte ihn zuvor nicht. Mir gefällt seine Rock`n Roll Philosophie. Er ist nicht der Typ, der alles absolut perfekt haben will. Viel wichtiger sind ihm Freude am Spielen in einem Live-Umfeld und viel Energie in den Performances.
Wir haben sehr wenig mit Overdubs gearbeitet und das allermeiste zusammen in einem Raum eingespielt. Das hatte ich bei einigen meiner Soloalben ein wenig vermisst. Manchmal sind einige meiner Songs erst live richtig gut geworden. Es hat wirklich Spass gemacht den Fokus auf den Spielspass zu legen.
Das kann man auf dem neuen Album deutlich hören.
Es ist sein Job als Produzent und wir sind seinen Ideen gefolgt.
War es für dich eigentlich nicht schwierig die Rolle des Shredders zu verlassen und vermehrt die Rhythmusparts zu übernehmen?
Nun, als ich mit 19 Jahren mein erstes Album Street Lethal aufgenommen hatte, gab es da einen Track, auf dem ein Solo war. Ich spielte da so schnell, wie ich dazu im Stande war. Nur um der Welt zu zeigen was ich konnte. Seither gab es auf all meinen Soloalben schnelle Gitarrenparts und wenn es nötig ist, dann mache ich das.
Aber bei Songs, bei denen es um Gesang und den Song als ganzen geht, habe ich kein Problem damit etwas kürzer zu treten. Ich wollte nie nur die ganze Zeit Soli spielen. Die Abwechslung aus coolen Rhythmusparts und ab und zu mal ein Solo – das gefällt mir sehr.
Und dennoch hast du es zusammen mit Billy [Sheehan] geschafft einige echt verrückte Dinge einzubringen.
Ja, stimmt. Wir konnten uns nicht zurückhalten und irgendwie sind unsere Gitarren-/Bass-Duelle ein wichtiger Teil der Band.
Was hat sich deiner Meinung nach gegenüber den 90ern am meisten verändert, wenn du heute mit Mr. Big im Studio bist?
Hmm, ich würde sagen, dass wir alles so live umgesetzt haben. Das hatten wir zwar früher auch gemacht, aber es wurde im Nachhinein immer einiges korrigiert. Heute spiele ich einfach meinen Part ein – Punkt, das ist es. Das galt für die Soli, wie auch für den Gesang. Es war ein wenig beängstigend, aber das Resultat ist klasse.
Was war für dich der unvergesslichste Moment während den Aufnahmen?
Lass mich überlegen. Als Musiker hast du ein völlig anderes Leben was deine Arbeit angeht. Im Gegensatz zu einem normalen Job gehst du nicht immer zur gleichen Zeit nach Hause und bist fertig mit der Arbeit. Denn, wer sagt dir als Musiker, dass du jetzt mit einem Song fertig bist? Ein Produzent kann das. Er sagt dir genau, wann etwas fertig und im Kasten ist.
Wir haben normalerweise einen Song pro Tag eingespielt. Also bin ich jeden Morgen zur gleichen Zeit ins Studio gegangen, habe meine Parts gelernt, diese ein paar Mal gespielt und am Ende des Tages hat uns der Produzent mit erhobenem Daumen entlassen. Es fühlte sich an wie der coolste, normale Job der Welt.
Kannst du uns einen kurzen Überblick über dein aktuelles Live-Equipment geben?
Gerne. Hauptsächlich spiele ich meine Ibanez Fireman Gitarren. Bisher spielte ich mein ganzes Leben lang Humbucker-Pickups, aber dieses Modell ist mit brumm-unterdrückenden Single Coils ausgestattet. Da gibt’s absolut keine Nebengeräusche und die Tonabnehmer klingen sehr klar.
Der Verstärker ist ein Marshall Vintage Modern, den ich sehr mag. Auf dem Pedalboard befinden sich ein BOSS Tuner, der Ibanez Airplane Flanger AF2, ein BOSS DD-3 Delay, ein CPR Compressor Retro, ein Detox EQ, ein MXR Phase 90, die Majik Box Fuzz Universe für die Verzerrung. Dann sind da noch der MXR Phase 100 und ein MXR Blue Box. Das ganze wird gespiesen von einem Voodoo Labs Pedal Power 2Plus. Oh, und dann verwende ich noch dieses Bullet Cable, das zum Pedalboard führt.
Und im Studio?
Im Studio verwende ich exakt das gleiche Equipment.
Was ist dein wichtigster Tipp, den du einem Gitarristen mit auf den Weg geben kannst?
Nun, ich gebe ja regelmässig Unterricht und spiele fast täglich mit unterschiedlichen Menschen zusammen. Das sind meistens Gitarristen, die auch Fans meines Stils sind. Die Stärken vieler Teilnehmer sind eine gute Technik und gute Kenntnisse von Skalen.
Die Schwächen liegen meist bei den Endings. Das ist übrigens auch meine eigene Schwäche. Das Ending entscheidet darüber, ob sich etwas gut anhört. Viele Gitarristen sind zwar irre schnell, wissen aber nicht, wann sie aufhören müssen. Sie haben kein Ending. Mein Tipp ist daher: Übe verschiedene Endings!
Es ist schon eine Kunst ein Gitarrensolo gekonnt in einen Song zu verpacken.
Ja, defintiv. Wenn du damit anfängst musst du auch wieder rausfinden. Ich schätze, solche Gitarristen haben nie in Bands gespielt, denn sonst hätten sie längst ein paar Drumsticks an den Kopf geworfen bekommen [grinst].
Das Solo in To Be With You ist meiner Meinung nach ein ausgezeichnetes Beispiel für ein Gitarrensolo. Es ist klasse.
Danke. Das war nicht sonderlich schwierig zu schreiben, da es nur die Gesangslinie wiederholt.
Das stimmt, aber es ist auch richtig cool gespielt.
Danke für das Kompliment!
Foto © Ibanez Guitars
Joaquin meint
Habe schon anderswo gelesen, dass dieses einmal einspielen und kleine Fehler auf der Aufnahme „leben“ lassen, momentan sehr angesagt ist bei amerikanischen Bands. Meine sogar, da wäre auch die Rede von ein paar großen Bands gewesen.
Michael Herb meint
Ob es da einen allgemeinen Trend gibt weiss ich nicht. Aber schon immer war mir diese Art von Recordings am liebsten, wo man für einen Tick mehr Authenzität auch mal einen Take so belassen hat. Es bringt ausserdem die Songs näher an das Live-Erlebnis, was Paul Gilbert ja sogar selbst bemerkt hat.
Seb meint
Von Trivium weis ich, dass sie beim letztes Album auch Rhytmusgitarre, Bass und Schlagzeug so aufgenommen haben. Nur die Solos und ein paar Harmonien wurden später dazu gespielt. Es klingt eben nicht unbedingt besser wenn alles perfekt und „in time“ gespielt ist.