Seitdem Musik digital verteilt und kopiert werden kann, klagt die Musikindustrie über rückläufige Verkäufe. Als sich mit dem Word Wide Web immer mehr neue Wege für den Vertrieb und den Konsum von Musik eröffnet hatten, klammerten sich die Majorlabels an den klassischen Vertriebs- und Verwertungsmethoden fest. Der anfänglichen Ignoranz gegenüber den neuen technologischen Möglichkeiten folgte ein Feldzug gegen illegale Tauschbörsen und Filesharer.
Die Raubkopien wurden jahrelang für zurückgehende Umsatzzahlen verantwortlich gemacht. Nicht selten wurden von den zuständigen Interessensverbänden und Verwertungsgesellschaften sogar Hochrechnungen präsentiert, um die angeblichen Ausfälle zu dokumentieren. Diese Argumentation war insofern irreführend, da sie davon ausging, dass die Menschen genau gleich viel und auf die genau gleiche Art und Weise Musik konsumieren, wie in der Zeit vor dem Web.
Stark rückläufige Zahlen bei Albumverkäufen
Am vergangenen Wochenende bin ich im Business Insider über einen sehr interessanten Artikel gestolpert. Und zwar greift Autor Michael DeGusta das Thema der Verkäufe der aufgenommenen Musik in den USA auf. Basierend auf den Umsatzzahlen der RIAA (Recording Industry Association of America), sowie unter Berücksichtigung der Inflation und des heutigen Dollar-Kurses, hat er die Verkaufszahlen der letzten 35 Jahre verglichen.
Der Gesamtumsatz der verkauften Musik auf Tonträgern beträgt heute noch ungefähr einen Drittel dessen, was zu den Spitzenzeiten in den 90er-Jahren umgesetzt wurde. Der Anteil digitaler Musik wird zwar immer grösser, kann aber den wegfallenden Teil der physikalischen Tonträger trotzdem nicht kompensieren. Interessant wird es, wenn man sich die Entwicklung gemessen an der US-Bevölkerung ansieht.
Vor zehn Jahren gab der durchschnittliche Amerikaner dreimal soviel für Musik aus, wie er das 2009 tat. Und, vor 36 Jahren betrug der Musikumsatz pro Kopf in den USA fast doppelt so viel, wie heute.
Während der starke Rückgang bei den physikalischen Tonträgern allgegenwärtig ist, überrascht mich der allgemeine Negativtrend bei den Musikausgaben doch etwas.
Wenn man sich nun die Verteilung der einzelnen Bereiche auf den Gesamtumsatz ansieht, dann erklärt das einiges. Die Verkäufe von Alben machten in der Vergangenheit rund 90% des Umsatzes aus.
Dies, verglichen mit der US-Bevölkerung, bringt erstaunliche Zahlen hervor:
Während in den Spitzenjahren 3-4 Alben pro Person und Jahr gekauft wurden, ist es heute noch knapp eines. Grob gesagt verhält sich der Gesamtumsatz der verkauften Tonträger in den USA demnach analog zum Konsum von Musikalben.
Einzel-Downloads auf dem Vormarsch
Nach den Verkaufszahlen der RIAA haben die Single-Verkäufe in den letzten Jahren stark zugenommen:
Die Entwicklung ist, nüchtern betrachtet, nicht erstaunlich. Der Konsument kann heute genau den Song herunterladen, den er möchte. Eine Option, die zu Zeiten der Vinyl- und CD-Singles in diesem Umfang noch nicht vorhanden war.
Das Problem der Musikindustrie ist, dass durch diese Verlagerung von Alben auf Singles nur noch ein Bruchteil dessen in die Kassen fliesst, wie dies vor dem Web der Fall war. Alternativen, wie beispielsweise Streaming-Abos oder Mobile-Angebote, weisen in den USA bereits rückläufige Umsatzentwicklungen aus.
Die Preisgestaltung hat sich gegenüber den physikalischen Tonträgern nicht verändert und die Vorteile des günstigeren Vertriebs werden dem Konsumenten nicht weitergegeben. Die Tatsache, dass man für ein aktuelles Album bei iTunes, Amazon & Co immer noch zwischen 10-14 Euro bezahlt, spricht eigentlich eher für die CD.
Die Berechnungen des Business Insiders basieren lediglich auf den Zahlen für den US-Markt. Da die USA für rund 30% (gemäss IFPI) des weltweiten Musikumsatzes verantwortlich sind, ist aus dieser Entwicklung auch ein allgemeiner Trend abzulesen.
Was bleibt hängen?
Ganz offensichtlich hat sich das Bedürfnis verstärkt, einzelne Songs hören und kaufen zu wollen. Diese Entwicklung hat massgeblich dazu beigetragen, dass die Umsätze der Musikindustrie eingebrochen sind. Und zwar in einem Ausmass, wie es die Betroffenen bisher noch nicht realisiert und zugegeben haben.
Es stellt sich für mich die Frage, ob das Musikalbum ausgedient hat. Momentan deutet einiges darauf hin, dass diesem Musikgefäss in Zukunft nur noch ein Nischendasein bleibt.
Foto © Dmitry Naumov – Fotolia.com
Grafiken/Charts © Michael DeGusta
Metallschädel meint
Ganz ganz früher gabs fast ausschliesslich den Singleverkauf. Ich weiss doch noch ganz gut, wenn damals in den 50ern der Elvis einen neuen Song rausbrachte. Da musstest du keine LP dazu kaufen. Man fieberte entweder vor dem Radio auf den zu veröffentlichenden Song oder wartete in der Schlange vor dem Labelladen auf den Release der Vinyl-Single.
Das waren noch Zeiten…… ;)
Michael Herb meint
Da kann ich leider nicht aus Erfahrung sprechen ;-)
Willst du damit andeuten, dass diese Entwicklung eher wellenartig erfolgt und mittelfristig auch wieder zugunsten der Alben ausschlagen kann?
Was du beschreibst habe ich als Teenie intensiv bei neuen Alben erlebt. Am Tag X sind wir da mit dem Fahrrad mal extra in das nächstgelegene Einkaufscenter gefahren, nur um die CD frisch gepresst in den Händen zu halten. War das ein geiles Gefühl. Das geht mir bei den MP3s total ab. Nicht zuletzt deshalb gehöre ich zu den Nostalgikern, die sich nach wie vor CDs ins Regal stellen.
Seb meint
Vielleicht könnte es auch damit etwas zu tun haben das die meisten Alben heute nur noch eine Ansammlung an Singels sind (z.B. Nickelback oder LadyGaga).
Hat man eine durchgehende „Handlung“ oder Thema dem die Musik folgt, wie etwa bei Pink Floyd „The Wall“ ist man auch eher geneigt das ganze Album zu hören.
Aber heutzutage nimmt sich zudem ja kaum jemand noch die Zeit ein ganzes Album zu hören sondern steckt sich lieber seinen IPod Shuffle in den Kopf. Da wird es schwer mit dem Album.
Ich schätze das Album wird uns noch sehr lange als das Musikmedium Nr. 1 erhalten bleiben (was es ja heutzutage ist) .
Seb meint
@ Metallschädel; wie jung bist du denn, wenn du vor 60 Jahren in der Schlange vor dem Labelladen auf den Release der Vinyl-Single gewartet hast…
Michael Herb meint
Das Argument mit der Zeit ist sicher ein wichtiges. Ich bin überzeugt, dass die Wertschätzung der Musik eine ganz andere ist, wenn man eine CD in den Händen hält, das Booklet durchlesen kann und so auch irgendwas greifbares da ist.
Metallschädel meint
@ Seb Noch nicht so alt. :-) Aber mein Vater machte das so. Aber ich wuchs doch tatsächlich noch als Knopf inmitten der Singles auf. In den 60s.
Aber zurück zum Thema. Die ganz frühen Alben waren eben tatsächlich eine Ansammlung von Singles. Zudem produzierten die damaligen Künstler noch nicht so viele LP in immer kürzeren Abständen, denke ich mal. Oder täusche ich mich da?
Projektalben kamen ja erst in den 70ern und später. Vermutlich auch wegen den zeitlich immer länger werdenden Liedern und der psychodelischen Ära.
Ich war und bin eher der Single Typ (musikalisch), wenn ich das so sagen darf. Projektalben waren nie so mein Ding. Aber jedem sein Ding.
Michael Herb meint
Konzeptalben sind schon etwas speziell. Aber ein nornales Album ist ja in sich auch eine Art Werk, selbst wenn die einzelnen Songs nichts miteinander zu tun haben. Ich fand das Erlebnis, ein Album einer Band komplett am Stück durchzuhören, immer ein Genuss. Naja gut, nicht bei allen…:-)
Dietmar meint
Die Tauschbörsen sind nicht der alleinige Übeltäter. Sie haben der sowieso schon kränkelnden Musikindustrie nur den Todesstoss gegeben. Den Anfang machen die hohen CD Preise. Ein aktuelles Album auf CD kostet etwa 15-20 Euro, was umgerechnet auf die D-Mark 30-40 DM sind. Eine aktuelle LP kostete in den 70ern/80ern 18-20 DM, was umgerechnet auf den Euro etwa 10€ sind. Dass CDs Anfangs, als sie neu waren, auch dementsprechend teuer waren, ist klar. Das ist bei allem so, nur sind sie dank der geldgeilen Musikindustrie nie wirklich billiger geworden. Und wie soll ein Teenager ohne eigenes Einkommen von seinem Taschengeld immer die neuesten CDs kaufen? Da kam die Tauschbörse doch wie gerufen, aber anstatt die CD Preise zu senken, verklagt die musikindustrie tausende Musikfans, die nur eins wollen, ihre Lieblingssong hören. Die Musikindustrie weiss sich nicht anders zu wehren und ich behaupte auch mal, dass es in Zukunft keine physischen Labels und auch kein VIVA/MTV mehr geben wird. Der Zug ist abgefahren. Zudem wird es einfacher sein, bekannt zu werden, weil man als Band nicht mehr auf einen Plattenvertrag hoffen muss. Musicload.de, iTunes, Jamba, etc. machens möglich, ein Album mal eben so zu veröffentlichen. Internet Radios zur Promotion und TV ähnliche Plattformen wie YouTube sind auch zahlreich vorhanden, also, auf zu neuen Ufern.
Dietmar meint
@Metalschädel
Elvis Presley produzierte pro Jahr ca. 5 Alben. In den 70ern war es üblich pro Jahr zwei Alben rauszubringen. Heute wartet man ca. 1-2 Jahre, bis die Band, die man mag ein neues Album auf den Markt bringen.
Michael Herb meint
@Dietmar: Meine Rede. Ich kann mich noch gut an Versprechen erinnern, wonach die Industrie damals alles gemacht hat, um die Kunden zum Medienwechsel zu bewegen. Günstigere Produktion, bessere Haltbarkeit, etc wurden als Gründe angegeben. Aber eben, wie du sagst: Günstiger wurde es nie.
Besonders die CD-Singles mit Preisen zwischen CHF 8-10 waren ein Hohn. Übrigens wiederholt sich dasselbe Spiel heute. Schon mal die Preise im iTunes Store überprüft? Alben und Singles kosten praktisch gleichviel wie auf Silber – von wegen günstigerem Vertriebsweg und wegfallenden Kosten.